„Amerika, Du hast es besser …“
Ob bei künstlicher Intelligenz, günstiger Energie oder der Wirtschaftskraft: Die USA hängen Europa immer mehr ab. Welche Schlüsse sollte man daraus für das eigene Aktiendepot ziehen?
Die Worte aus einem fast 200 Jahre alten Goethe-Gedicht beschreiben die aktuelle Stimmung in Europa ziemlich treffend. Viele schauen dieser Tage neidisch über den großen Teich.
Die USA hängen Europa mehr und mehr ab: In der Technologiebranche – vor allem beim verheißungsvollen KI- Thema – haben die Vereinigten Staaten meilenweit die Nase vorn. Punkten können die Amerikaner zudem mit niedrigen Energiepreisen und mit einer wirtschaftsfreundlichen Regierung, die unter Trump wohl erst so richtig aufdreht. Wir in Europa haben: viel EU-Bürokratie, teuren Strom und in Deutschland aktuell nicht mal mehr eine handlungsfähige Regierung – bei unseren französischen Nachbarn sieht es ähnlich aus.
Genug Miesepetrigkeit, ich halte nichts von Schwarzmalerei. Zumal gerade wir Deutschen wahre Meister darin sind, Dinge schlechtzureden. Ich frage mich vielmehr: Was bedeutet das nun für uns Börsianer? Ab sofort alles Geld in US-Aktien stecken? Finger weg von europäischen Titeln? So einfach ist die Börse nicht. Denn alles hat seinen Preis – höheres Wachstum und bessere Perspektiven spiegeln sich natürlich in den Kursen wider. Sprich: US-Aktien sind im Schnitt teurer als europäische.
Während amerikanische Papiere aktuell fast mit dem 25-fachen Jahresgewinn bewertet werden, liegt das durchschnittliche KGV in Europa nur bei 15. Genau andersrum ist es entsprechend bei der Dividende: US-Aktien bringen im Schnitt nur 1,5 Prozent, europäische über 3 Prozent. Man könnte also auch genau entgegengesetzt argumentieren: Stecken Sie alles Geld in europäische Titel – denn die sind billiger und bieten doppelt so hohe Dividenden!
Wer mich kennt, weiß, dass ich solche Extremmeinungen so gut leiden kann wie Linsen und Spätzle ohne Saitenwürstle. Niemand kann vorhersehen, ob US-Aktien künftig weiter das Rennen machen oder ob europäische Titel eine fulminante Aufholjagd starten. Niemand! Und vielleicht laufen die Aktien sogar gleich gut, wer weiß? Viel wichtiger als solche Länderspekulationen ist der Blick auf die einzelnen Firmen.
Und sucht man nach den besten Unternehmen der Welt, wird man nun mal vor allem in den USA fündig. Deshalb setzen wir schon seit Jahrzehnten großteils auf amerikanische Aktien. Andererseits gibt es auch in Europa exzellente Konzerne zur Langfristanlage. Und hüben wie drüben gilt: Gerade die Topfirmen verkaufen ihre Produkte doch ohnehin meist rund um den Globus. Ich sage deshalb nicht: „Amerika, Du hast es besser …“, sondern: „Börsianer, die auf internationale Topunternehmen setzen, haben es am besten!“
Newsletter vom 4. Dezember 2024
Joachim Brandmaier – Börsenpraktiker
Stuttgarter Aktienbrief „Börse Aktuell“
Zum Newsletter anmelden