Konjunkturdelle oder strukturelle Wachstumsschwäche?
Im aktuellen Bericht zur wirtschaftlichen Lage in Deutschland konstatiert das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK), dass vorerst keine nachhaltige wirtschaftliche Belebung in Deutschland zu erwarten ist. Vor allem die schwachen außenwirtschaftlichen Rahmenbedingungen dämpfen demnach die Exportentwicklung und damit die Produktion.
Offensichtlich kommt derzeit die Schwäche des sehr auf die exportorientierte Industrie fokussierten Geschäftsmodells der deutschen Volkswirtschaft zum Tragen: die hohe Abhängigkeit vom Außenhandel. Waren es in den letzten Jahren unter anderem unterbrochene oder zumindest nicht reibungslos funktionierende Lieferketten und damit die fehlenden Vorleistungen, durch die die Produktion ausgebremst wurde, sind es heute die nicht mehr ausreichend vorhandenen Aufträge aus dem Ausland.
Es wird aber auch immer klarer, dass die Stützpfeiler des Erfolgsmodells Deutschlands der letzten Jahrzehnte, günstige fossile Energien, lohngünstige Produktion im Ausland, internationale Absatzmärkte und enge internationale Kooperation verbunden mit einem prosperierenden Außenhandel, seit einiger Zeit immer brüchiger werden. Im Streit zwischen den USA und China sitzt Deutschland zwischen den Stühlen, einerseits weil die Globalisierung im Sinne internationaler Arbeitsteilung – der Wohlstandstreiber der letzten Jahrzehnte – zunehmend von protektionistischen Tendenzen abgelöst wird. Wenn chinesische Behörden Exporte von Gallium und Germanium künftig kontrollieren und möglicherweise nicht mehr im benötigten Umfang für die Produktion von Hochleistungschips in den USA zur Verfügung stellen, die US-Industrie aber im Gegenzug diese Chips nicht mehr an China liefern darf, wird für alle Beteiligten Wohlstand zerstört. Andererseits dürften in den USA bzw. China tätige deutsche Unternehmen künftig verstärkt in den Fokus der jeweils anderen Regierungen geraten mit der Folge, dass Geschäftstätigkeiten implizit untersagt werden könnten.
Es wird also höchste Zeit, dass deutsche Unternehmen und damit quasi die Volkswirtschaft ihr Geschäftsmodell auf ausreichende Zukunftsfähigkeit hin untersuchen und existenzielle Abhängigkeiten verringern. Dabei ist ein tiefgreifender Strukturwandel unumgänglich. Deutschland kann künftig nur als Hochtechnologiestandort mit verlässlichen Rahmenbedingungen, einer effizienten Verwaltung und hoher Attraktivität für Menschen und Kapital aus dem Ausland ausreichend wettbewerbsfähig sein.
Newsletter vom 23. August 2023
Carsten Mumm – Chefvolkswirt und
Leiter der Kapitalmarktanalyse
Privatbank Donner & Reuschel
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